Wenn das Kind die Erwachsenenrolle übernimmt: Parentifizierung erkennen und auflösen
- Nada Castrup

- 9. Aug.
- 3 Min. Lesezeit
Viele Menschen, die heute in ihren Beziehungen funktionieren, statt sich verbunden zu fühlen, haben eines gemeinsam: Sie mussten als Kind zu viel tragen. Zu früh. Zu lange.Nicht, weil sie wollten – sondern weil sie mussten.

Dieses Phänomen hat einen Namen: Parentifizierung.
Was bedeutet Parentifizierung?
Parentifizierung beschreibt einen Rollentausch innerhalb der Familie. Das Kind übernimmt Aufgaben, die eigentlich die Bezugspersonen tragen sollten – emotional, organisatorisch oder psychisch. Es wird zur Stütze, zum Vermittler, zur Trösterin, zum Ersatzpartner – lange bevor es emotional dazu in der Lage ist.
Die Psychologie unterscheidet zwei Hauptformen:
Instrumentelle Parentifizierung: Das Kind übernimmt Verantwortung im Alltag. Es kümmert sich um jüngere Geschwister, hilft bei der Haushaltsführung, übernimmt organisatorische oder pflegerische Aufgaben.
Emotionale Parentifizierung: Das Kind wird zur emotionalen Bezugsperson – für einen Elternteil, der instabil, überfordert oder psychisch nicht präsent ist. Oft geht es um Trost, Regulierung, Aufmerksamkeit, seelische Ausgleichsfunktion.
Beide Formen hinterlassen Spuren. Oft ein Leben lang.
Wie Parentifizierung entsteht
Parentifizierung ist kein böswilliger Akt. Sie entsteht in Familiensystemen, die überfordert, dysfunktional oder traumatisiert sind. Einige typische Konstellationen:
Ein Elternteil leidet unter einer psychischen Erkrankung
Ein Elternteil ist suchtkrank oder chronisch überlastet
Es existieren starke Konflikte oder eine Trennungssituation
Die Eltern sind emotional unreif oder selbst parentifiziert
Das Familiensystem kennt keine gesunde Hierarchie
Das Kind spürt intuitiv: Wenn ich mich nicht kümmere, kümmert sich niemand.Und übernimmt – aus Bindung, aus Loyalität, aus Not.
Die langfristigen Folgen
Das Nervensystem eines parentifizierten Kindes lernt, in ständiger Alarmbereitschaft zu bleiben. Es überwacht die Stimmungslage im Außen, passt sich an, unterdrückt eigene Bedürfnisse. Das Kind entwickelt ein Selbstbild, das auf Funktion, nicht auf Gefühl basiert.
Im Erwachsenenalter zeigt sich das oft in folgenden Mustern:
Chronisches Verantwortungsgefühl für andere
Schuldgefühle beim Abgrenzen oder „Nein sagen“
Überanpassung in Beziehungen
Schwierigkeiten, eigene Bedürfnisse zu erkennen oder durchzusetzen
Erschöpfung durch emotionale Dauerverfügbarkeit
Unbewusste Angst, andere zu enttäuschen
Bindung über Leistung oder Fürsorge
Körpersymptome: Enge im Brustkorb, Druckgefühl, Schlafstörungen, diffuse Anspannung
Viele Menschen leben mit diesen Mustern, ohne den Ursprung zu kennen. Sie halten sich für „zu sensibel“, „zu empathisch“, „nicht belastbar genug“ – dabei reagieren sie auf ein System, das sie nie verlassen haben.
Warum Verstehen allein nicht reicht
Oft kommt irgendwann der Punkt, an dem der Zusammenhang verstanden wird. Die Kindheitsstruktur wird klar – kognitiv. Aber im Alltag greifen die alten Muster dennoch.
Der Grund: Parentifizierung ist kein rein kognitiver Prozess.Sie ist im Körper verankert.Im impliziten Gedächtnis. In den neuronalen Verschaltungen. Im Gefühl von Sicherheit, das mit Funktionieren statt mit Dasein verknüpft ist.
Und genau deshalb reicht es nicht, „es zu wissen“. Es braucht einen Zugang zur darunter liegenden emotionalen Erfahrung. Einen Raum, in dem das System neu fühlen darf, was damals nicht möglich war.
Wo Hypnose ansetzt
In der auflösenden Hypnose entsteht dieser Raum. Nicht durch Suggestion. Nicht durch kognitive Deutung. Sondern durch das direkte Erleben dessen, was unbewusst wirkt.
Häufig zeigt sich in der Trance:
Das überforderte Kind, das nie gesehen wurde
Die innere Stimme: „Ich darf nicht belasten.“
Ein ständiger innerer Druck, andere zu retten
Bilder, Körperempfindungen oder Szenen, die verdrängt waren
Der erste Impuls von Entlastung – und manchmal: Trauer
Hypnose macht das sichtbar, was nicht erinnerbar, aber spürbar ist.Und genau darin liegt das Potenzial:Das System darf regulieren, was es bisher nur kompensiert hat.
Was sich verändert, wenn sich Parentifizierung löst
Die Veränderungen sind oft leise – aber tief:
Abgrenzung wird möglich, ohne Schuld
Der Körper entspannt sich spürbar
Beziehungen werden freier, weil sie nicht mehr durch Leistung „gesichert“ werden müssen
Bedürfnisse werden erkennbar und legitim
Nähe wird neu verhandelbar – ohne Überforderung
Die innere Haltung verändert sich: Vom „Ich muss“ zum „Ich darf“.Vom „Ich funktioniere“ zum „Ich bin“.
Fazit
Parentifizierung ist ist eine Überlebensleistung. Aber sie darf heute in Frage gestellt werden.
Nicht aus Schuldzuweisung – sondern aus Selbstklärung. Denn das, was damals notwendig war, darf heute heilen.
Und genau hier beginnt Veränderung.




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